Für die gesamte Organisation, die Überführung des erforderlichen Materials nach Rom, die Niederschrift des Vertrags, die materielle Organisation bis ins kleinste Detail, standen uns nur wenige Tage zur Verfügung.
Wenige Tage vor dem 25. März war ein Waggon von Brüssel über Luxemburg in Richtung Rom gestartet. An Bord war sämtliches Übersetzungs- und Reproduktionsmaterial sowie alles, was für die Organisation einer solchen Sitzung erforderlich ist. Ich selbst war mit diesem Zug mitgefahren, um dafür zu sorgen, dass auch alles gut am Bestimmungsort ankommt. In Basel beschlossen die Schweizer jedoch, den Waggon zu blockieren. Anrufe gingen hin und her, Nervosität machte sich breit – aber es war nichts zu machen. So beschloss ich, meine Reise in Richtung Mailand fortzusetzen, wo ich das Material in Empfang nehmen sollte. In Mailand angekommen machte ich mich auf die Suche nach „meinem“ Waggon … doch er war verschwunden, mitsamt dem ganzen Material! Nach einigen Nachforschungen und kalten Schweißausbrüchen konnte der Waggon wiedergefunden werden … auf einem Abstellgleis in einigen Kilometern Entfernung. Nun konnte er also seine Reise nach Rom fortsetzen.
Vor Ort haben wir uns daran gemacht, den Vertrag schriftlich niederzulegen, da dieser noch nicht ganz fertig war. Was wir nach Rom gebracht hatten, war eigentlich nur ein „Entwurf“ aus einer chaotischen Blättersammlung die noch von einer römischen Druckerei formatiert werden mussten.
In Val-Duchesse arbeiteten die Sachverständigen Tag und Nacht und diskutierten über ein Wort, einen Satz – Sie sehen, nichts hat sich geändert … – und sobald sie sich auf eine Formulierung geeinigt hatten, riefen sie uns in Rom an und forderten uns auf, die erforderlichen Änderungen in den Dokumenten vorzunehmen.
Der Boden war mit Papier und geschwärzten und durchgestrichenen Druckmatrizen übersät. Als die Putzfrauen am Abend den Raum betraten und das ganze mit schwarzer Farbe bedeckte Papier auf dem Boden liegen sahen, haben sie alles weggeworfen! Es konnte nichts mehr gerettet werden, die ganze Arbeit war auf der Müllkippe gelandet! In unserer Verzweiflung riefen wir Val-Duchesse an und forderten ein weiteres Schreibkräfte-Team an, mit dessen Hilfe wir es schafften, neue Matrizen anzufertigen.
Dann mussten jedoch noch die Dokumente zusammengestellt werden. Die Universität von Rom schickte uns Studenten, die sich für ein paar Lire darum kümmern sollten. Die so gewonnene Atempause war jedoch nur von kurzer Dauer: Schon am nächsten Tag hieß es: „sciopero“ - Streik! Die Studenten forderten eine Erhöhung um 200 Lire die Stunde.
Das Ergebnis dieser logistischen Pannen war, dass am Tag der Unterzeichnung die endgültige Fassung des Textes nicht vorlag und die Minister und Delegationsleiter ihre Unterschrift auf ein Paket weißer Blätter setzen mussten! Die Zeit hatte nur gereicht, um die erste und die letzte Seite der beiden großen Pakete zu drucken. Zwischen diesen beiden Seiten lagen ausschließlich weiße Blätter. Abgesehen von einem sehr kleinen Kreis Eingeweihter hatte niemand die leiseste Ahnung … Das größte Problem war, dafür zu sorgen, dass die Journalisten nicht zu nahe kamen. Unsere Ehre war gerettet! Beim Anbringen der Siegel, also bei der offiziellen Annahme der Verträge, war dann wieder alles in Ordnung.
Im weiteren Verlauf meiner Karriere habe ich über 20 EURATOM-Sitzungen in Brüssel und im Ausland organisiert und war an der Organisation von ungefähr zehn Europäischen Räten beteiligt.
Auch nach all diesen Jahren kann ich mich immer noch sehr lebhaft an diese Ereignisse erinnern, und mein Glaube an dieses Europa, bei dessen Geburt ich dabei sein durfte, ist stark wie eh und je.