Rechtlicher Hinweis | Über EUROPA | Suche | Kontakt
Europa hat Geburtstag! - 50. Jahrestag des Vertrags von RomLeiste für Sprachenauswahl ausblenden (Schnelltaste=2) 01/02/2008
EUROPA > 50. Jahrestag > Nachrichten und Medien > Ansichten und Meinungen

Europa – eine Gemeinschaft der Kulturen?

Europa – eine Gemeinschaft der Kulturen?
Direktor der Europäischen Kulturstiftung, geboren in Kitzbühel (Österreich)

26/10/07

Gottfried Wagner, Direktor der Europäischen Kulturstiftung: Um einen „Kampf der Kulturen“ zu vermeiden, hilft nur eines, nämlich die Zivilgesellschaft in die Gestaltung der Kulturpolitik einzubeziehen. Die Vorteile werden sich zweifelsohne in einem verbesserten kulturellen Dialog und einem wahren Fest der Reichtümer, die vor unserer eigenen Haustür zu finden sind, äußern.

In den ersten Jahrzehnten des Projekts „Europa“ wurden die ersten Bande zwischen den Mitgliedstaaten geknüpft und ihre Volkswirtschaften miteinander verflochten. Die wachsende gegenseitige Abhängigkeit brachte uns Frieden. So konnten wir uns auch gemeinsam – verbunden durch Solidarität und gemeinsame Interessen – über wachsenden Wohlstand freuen. In den kommenden Jahrzehnten wird sich jedoch entscheiden, ob die EU den Fahrtwind der Globalisierung für sich nutzen und sie aktiv mitgestalten kann, oder ob sie von den Kräften dieser Entwicklung wie ein steuerloses Schiff hin- und hergeworfen wird.

Bereits in der Vergangenheit war unser Kontinent Spielball mehrerer Globalisierungswellen. Doch was haben diese Wellen mit sich gebracht? Kolonialismus – ja sicher, aber auch Erleuchtung; das Konzept eines Nationalstaates, aber auch zwei Weltkriege; Kapitalismus und Sozialismus; Geschichte wurde geschrieben – und möglicherweise sogar zuviel …

Jahrhunderte langes Ausprobieren, rühmliche Erfolge und Katastrophen haben letzten Endes zu einem pragmatischen politischen System der gegenseitigen Kontrolle geführt – die Europäische Union. Dass sich das Projekt Europa zu einer Erfolgsgeschichte entwickelt hat, haben wir der bisher nicht gekannten Bereitschaft zu verdanken, Macht und Befugnisse an eine gemeinsame, supranationale Struktur abzugeben (das Subsidiaritätsprinzip natürlich in allen Ehren).

Gemeinsame, supranationale Strukturen werden jedoch vielerorts als bürokratisch, langsam und kostspielig betrachtet und sind für den Normalbürger nicht besonders attraktiv. Mit dem „Non“ und „Nee“ zu einer europäischen Verfassung scheint dieses kulturelle Hochgeschwindigkeitsexperiment der „organisierten Unterschiede“ zumindest vorläufig auf Grund gelaufen zu sein.

Von außen betrachtet scheint dieses Europa eine fast magische Anziehung auszuüben und andere mit seinen zahlreichen Vorteilen anzulocken. Europa ist ein Vorbild, ein scheinbarer Garant für Lebensqualität. Und dennoch haben wir ein Problem – und wir sind uns dessen bewusst.

Stärke zeigen, ja – doch nicht als „EU-Superstaat“

Selbstverständlich brauchen wir ein effizientes Europa; und es ist unbestritten, dass sich die Bürger der EU mehr in das Projekt Europa einbringen müssen. Unsere große Herausforderung ist jedoch kultureller Art. Wie stellen wir uns das Europa von morgen vor, und wie soll der Rest der Welt aussehen?

Europa muss Stärke zeigen, darf sich jedoch nicht in einen Superstaat verwandeln, und es muss in den Augen der Bürger seine Legitimität beweisen können. Seine Stärke muss auf messbaren, gemeinsamen Normen basieren – insbesondere im Bereich der Menschenrechte. Europa braucht Pragmatismus und ein Maximum an Kultiviertheit – eine Kultur der gegenseitig anerkannten Unterschiede, die ihren Ausdruck in einer überzeugenden politischen Sprache findet.

Die Kombination aus persönlicher Freiheit des Einzelnen und sozialer Verantwortung für das Gemeinwohl ist möglicherweise ein einzigartiges Phänomen; seinen großzügigsten Ausdruck findet dies im Respekt für die Kultur der Vielfalt, in einer Art freundlich gesinnter Assimilation der Unterschiede.

Europa ist wie eine riesige Leinwand für kulturelle Projektionen. In der Praxis bedeutet dies, dass Raum geschaffen wird – Raum für die Kunst und Raum für Intellektuelle, Raum, in dem diese Freiheit konkrete Gestalt annehmen und mit anderen geteilt werden kann.

Wir hier und dort die anderen

Tatsächlich sind in der ganzen Welt mehr und mehr vereinheitlichende Tendenzen zu beobachten, und doch reicht es manchmal schon etwas an der langweilig scheinenden Oberfläche zu kratzen, um zahlreiche Überraschungen zu erleben. Zugegebenermaßen wird Vielfalt derzeit oft als Bedrohung angesehen, und trotzdem gelingt es – wie wir bereits in der Vergangenheit die Erfahrung gemacht haben – durch eine Verschiebung der Schnittstelle von denen die „dazugehören“ und denen, die „außen vor bleiben“ immer wieder, wunderbare bereichernde Veränderungen zu vollziehen. Das, was wir in Zukunft als unser Erbe bezeichnen, wird sowohl von uns (die wir vormals die „Außenstehenden“ waren) als auch von den anderen (die eines Tages auch zu „uns“ gehören werden), geschaffen.

Letzten Endes ist es die Qualität der Vielfalt, die zählt. In den nächsten, für uns hoffentlich rosigen Jahren sollte ein fester und begründeter Glaube daran, dass wir durch „Teilen“ unsere Individualität sichern, ein Kerngedanke unserer Union sein.

Auch ein Superstaat könnte uns Arbeitsplätze, Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und Sicherheit – alles Faktoren, die für uns von grundlegender Bedeutung sind – garantieren. Doch  unsere Aufgabe besteht darin, in einem komplexen und ständig wachsenden Europa und in einem ebenso komplexen jedoch ständig kleiner werdenden globalen Umfeld demokratische Strategien kontinuierlich neu zu erfinden. In einer Welt, in der die Grenzen immer mehr verschwinden, müssen wir das Konzept der Grenzen neu erfinden. Wenn Europa zu einer kosmopolitischen, friedlichen Weltordnung beiträgt, kann und wird es seine Stärke unter Beweis stellen.

Daher hat auch die Europäische Kulturstiftung im Jahr 2006 gemeinsam mit internationalen Partnern einen Fonds zur Förderung von Projekten der kulturellen Zusammenarbeit in und mit Südosteuropa ins Leben gerufen. Ein Schwerpunkt liegt auf der nachbarlichen Zusammenarbeit von Künstlern in der Problemregion des ehemaligen Jugoslawiens über jegliche Grenzen hinweg.

Ein Schritt in die Zukunft – über das Bekannte hinaus

Diese neuartige Politik erfordert kulturelle Strategien und Rahmbedingungen, die eine „mehrfache Staatsbürgerschaft“ über das Bekannte (die Nationalstaaten) hinaus für das noch Unbekannte (das globale Dorf) schützen und fördern. Dazu brauchen wir Strategien, die es uns ermöglichen, unsere Kultur mit anderen zu teilen und über ihre Grenzen hinweg zusammenzuarbeiten. Wir benötigen eine kluge Mischung aus privatem und öffentlichem Engagement, einen kreativen Wettbewerb und das uneingeschränkte Recht auf freie Meinungsäußerung sowie kreative Mobilität, Begegnungen und Einsatzbereitschaft.

Wahrscheinlich braucht es noch eine weitere Generation, bis sich diese Ziele realisieren lassen. Unsere Aufgabe ist es nun, neue Quellen aufzutun – auch finanzielle – und flexiblere Vorgehensweisen zu etablieren. Aus neuen Modellen der Interaktion von Akteuren auf lokaler, nationaler und europäischer Ebene sowie zwischen dem öffentlichen, dem privaten und dritten Sektoren kann sich ein neues Verständnis von kultureller Macht entwickeln.

Meiner Meinung nach sollte eine umfassende Kulturpolitik für Europa die folgenden Punkte beinhalten.

  • Integration und Vielfalt: Wenn sich das Konzept einer Europäischen Staatsbürgerschaft etablieren soll, muss die EU die kulturelle Zusammenarbeit in Europa intensivieren und Strategien zur Förderung der Werte von Vielfalt und Zusammenhalt entwickeln.
  • Kultur und Wirtschaft: Um möglichst vielen Bürgern den Zugang zu diesen Bereichen zu ermöglichen und damit ihre Beteiligung zu verstärken, muss die EU ein ausgewogenes Gleichgewicht zwischen Kulturschaffen, -verbreitung und ‑konsum im öffentlichen und privaten Bereich finden und hierfür einen entsprechenden Rahmen schaffen. Der Schutz des geistigen Eigentums ist in diesem Zusammenhang ebenfalls besonders wichtig. Es ist durchaus möglich, dass wir unsere Wettbewerbsfähigkeit steigern, ohne Kunst und Kultur zu bloßen Werkzeugen zu degradieren.
  • Sicherung des transnationalen Erbes Europas: Wir haben nicht nur die Aufgabe, unser lokales und nationales Erbe zu schützen, sondern auch das transnationale und transkulturelle Erbe Europas zu würdigen. Und wir müssen die Grundlagen für unser künftiges kulturelles Erbe schaffen und es gleichzeitig mit allen erdenklichen zeitgemäßen Formen der Kreativität bereichern. Solch ein umfassendes Verständnis vom nationalen Erbe Europas wäre für eine vielschichtige europäische Identität und Staatsbürgerschaft nur förderlich.
  • Kulturerziehung und Sprachen: Wir müssen die Sprache der anderen lernen. Sprachen sind das Ausgangsmaterial für unsere Vielfalt, die Bausteine unseres sozialen und kulturellen Wachstums.
  • Zusammenarbeit über die Grenzen der EU hinaus: Europa ist mehr als nur die EU. Daher sollte die europäische Kulturpolitik die kulturelle Zusammenarbeit mit den Ländern, die darauf warten, der EU beitreten zu können, sowie den Nachbarländern der EU zu einer strategischen Priorität machen.
  • Kultur in der EU-Außenpolitik: Strategien für Zusammenhalt und Vielfalt unterstützen den interkulturellen Dialog. Entwicklungshilfe, Konfliktmanagement, Öffentlichkeitsarbeit und demokratische politische Strukturen sind längst nicht mehr ausschließlich Sache der einzelnen Länder. Jede außenpolitische Strategie der EU enthält zwangsläufig auch eine kulturelle Komponente. Diese Herausforderung wollen wir zu unserer Stärke machen und sie effizient für uns nutzen.
Rechtlicher Hinweis | Über EUROPA | Suche | Kontakt | Seitenanfang