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Heranführungsstrategie für die Türkei

Die Übernahme des Besitzstandes der Gemeinschaft durch die Türkei erfolgt schrittweise und ist in folgenden Dokumenten dargestellt:

  • Assoziationsabkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Türkei von 1963 und Zusatzprotokoll von 1970;
  • Mitteilung der Kommission vom 4. März 1998: Europäische Strategie für die Türkei;
  • Regelmäßige Berichte der Kommission über die Fortschritte der Türkei auf dem Weg zum Beitritt;
  • Beschluss des Rates vom 19. März 2003 über die Grundsätze, Prioritäten, Zwischenziele und Bedingungen der Beitrittspartnerschaft mit der Türkei.

GESCHICHTLICHER ÜBERBLICK

Im Assoziationsabkommen (Abkommen von Ankara) zwischen der Gemeinschaft und der Türkei von 1963 und im Zusatzprotokoll von 1970 sind die grundsätzlichen Ziele festgelegt, wie die ständige und ausgeglichene Stärkung der Handels- und Wirtschaftsbeziehungen und die Einführung einer Zollunion in drei Stufen. Eines der Ziele des Abkommens von Ankara ist die Freizügigkeit der Arbeitnehmer, die jedoch aus wirtschaftlichen und sozialen Gründen nicht nach dem vorgesehenen Zeitplan verwirklicht werden konnte. Am 31. Dezember 1995 trat die dritte Stufe der Zollunion durch den Beschluss 1/95 des Assoziationsrates in Kraft. Sie gab einen wichtigen Impuls für die Rechtsangleichung der Türkei an das Gemeinschaftsrecht. Um ein gutes Funktionieren der Zollunion sicherzustellen, musste die Türkei vor deren Inkrafttreten wichtige Teile des Besitzstandes der Gemeinschaft übernehmen, vor allem in den Bereichen Zoll, Handelspolitik, Wettbewerb und Schutz des geistigen, gewerblichen und kommerziellen Eigentums.

Nach der Aufforderung durch den Europäischen Rat von Luxemburg vom 12. und 13. Dezember 1997 verabschiedete die Kommission am 4. März 1998 die Mitteilung „Europäische Strategie für die Türkei". Die Rechtsangleichung und die Übernahme des Besitzstandes der Gemeinschaft gehören zu den wichtigsten Elementen der Heranführungsstrategie für die Türkei. Die Mitteilung enthält auch erste operationelle Vorschläge für diese Strategie. Außer der Ausdehnung der Zollunion auf die Bereiche Dienstleistungen und Landwirtschaft enthält die Mitteilung Vorschläge für die Stärkung der Zusammenarbeit EG/Türkei und für eine Rechtsangleichung in bestimmten Bereichen. Diese Strategie wurde vom Europäischen Rat vom 15./16. Juni 1998 begrüßt; er war der Auffassung, dass diese Strategie "in ihrer Gesamtheit die Grundlage für eine Entwicklung der Beziehungen auf einer soliden und auf Weiterentwicklung angelegten Basis darstellt".

Die Türkei hat anschließend ihre Vorschläge zu den Vorschlägen der Kommission in einem Dokument vom 17. Juli 1998 unter der Bezeichnung "Strategie zur Entwicklung der Beziehungen zwischen der Türkei und der Europäischen Union - Vorschläge der Türkei" mitgeteilt. Dieses Dokument steht im Großen und Ganzen im Einklang mit dem Text der Kommission.

Die Mitteilung vom 4. März 1998 enthält Vorschläge, die in der Folge weiterentwickelt werden können. Der Europäische Rat von Cardiff hat die Kommission und die betreffenden türkischen Stellen aufgefordert, "das Ziel der Angleichung der türkischen Rechtsvorschriften und Praktiken an den Besitzstand weiterzuverfolgen". Zu gegebener Zeit muss das türkische Recht einer genauen Prüfung unterzogen werden. Der Europäische Rat von Cardiff hat unter Hinweis auf die Notwendigkeit finanzieller Unterstützung für die Europäische Strategie „die Absicht der Kommission zur Kenntnis genommen, über Mittel und Wege nachzudenken, um die Umsetzung der Europäischen Strategie zu unterstützen und geeignete Vorschläge zu diesem Zweck vorzulegen". Zu diesem Zweck hat die Kommission am 21. Oktober 1998 zwei Verordnungsvorschläge zur Finanzierung der Europäischen Strategie in Höhe eines Finanzrahmens von jährlich 50 Millionen Euro vorgelegt.

Im Hinblick auf die Leistungsfähigkeit der Verwaltungs- und Justizbehörden, den Besitzstand der Gemeinschaft umzusetzen, hat der Europäische Rat auf seiner Tagung in Madrid am 15. und 16. Dezember 1995 festgelegt, welche Voraussetzungen für eine schrittweise und harmonische Integration der Beitrittsländer notwendig sind. Im Falle der Türkei hat die Kommission in ihrer Mitteilung „Agenda 2000" hervorgehoben, dass die Verwaltung der Türkei über die notwendige Leistungsfähigkeit verfügt, um Gesetze auszuarbeiten und durchzuführen, die mit dem Besitzstand der Gemeinschaft in Einklang stehen. Jedoch weist der Bericht der Kommission vom November 1998 auf bestimmte Schwachstellen in der Justizverwaltung hin.

Der im November 1998 veröffentlichte Bericht über die Fortschritte der Türkei auf dem Weg zum Beitritt entsprach der Methodik der Stellungnahmen über die mittel- und osteuropäischen Länder (MOEL). Er beruhte auf Artikel 28 des Assoziationsabkommens (1) und den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Luxemburg. Bei der Erstellung dieses Berichts hatte die Kommission jedoch einige Schwierigkeiten, alle erforderlichen Informationen schnell zu erhalten, um bewerten zu können, ob die Türkei in der Lage ist, den Besitzstand der Gemeinschaft über das in der Zollunion bereits erreichte oder in der Europäischen Strategie für dieses Land angesprochene Maß hinaus zu übernehmen.

Seit der Veröffentlichung des Berichts im November 1998 hat sich die Situation weiterentwickelt. In ihrem Regelmäßigen Bericht 1999 über die Fortschritte der Türkei auf dem Weg zum Beitritt hat die Europäische Kommission anerkannt, dass der Türkei der Status eines Beitrittslandes einzuräumen ist. Sie hat jedoch betont, dass die Beitrittsverhandlungen erst nach Erfüllung der politischen Kriterien aufgenommen werden können. Bis dahin wird der Türkei im Rahmen der derzeitigen Europäischen Strategie eine Heranführungsstrategie zugute kommen, die zu Reformen anregen und diese unterstützen soll. Dazu hatte die Kommission verschiedene Maßnahmen mit folgender Zielsetzung vorgesehen:

  • Ausbau des politischen Dialogs mit Schwerpunkt auf der Frage der Menschenrechte und der Beteiligung der Türkei an den gemeinsamen Standpunkten und Aktionen im Rahmen der GASP;
  • Koordinierung der gesamten Finanzhilfe der Union zur Vorbereitung auf den Beitritt in einem einheitlichen Rahmen;
  • Möglichkeit der uneingeschränkten Teilnahme an den Gemeinschaftsprogrammen und -einrichtungen;
  • Aufnahme einer Beitrittspartnerschaft in Verbindung mit einem Nationalen Programm für die Übernahme des gemeinschaftlichen Besitzstandes;
  • Einrichtung von Mechanismen ähnlich denen der Europa-Abkommen zur Überwachung der Durchführung der Beitrittspartnerschaft und Einleitung eines Analyseprozesses zur Prüfung der Angleichung der Rechtsvorschriften und Praktiken der Türkei an den gemeinschaftlichen Besitzstand.

Im Regelmäßigen Bericht 2000 der Kommission über die Fortschritte der Türkei auf dem Weg zum Beitritt wird darauf hingewiesen, dass eine breit angelegte Diskussion über die für den Beitritt des Landes zur Europäischen Union notwendigen politischen Reformen begonnen hat. Die Türkei hat mehrere internationale Menschenrechtsübereinkommen unterzeichnet und die Arbeit des Obersten Koordinationsrates für die Menschenrechte gebilligt. Dennoch hat sich die Situation in dem Land nicht grundlegend verbessert; die Türkei erfüllt nach wie vor nicht die politischen Kriterien von Kopenhagen. Die Umsetzung der institutionellen Reformen, die die Voraussetzung für die Gewährleistung von Demokratie und Rechtsstaat sind, kommt nur langsam voran. Die Korruption gibt weiterhin Anlass zur Sorge. Zwar ist ein beträchtlicher Teil der türkischen Wirtschaft in der Lage, dem Wettbewerbsdruck und den Marktkräften in der Zollunion mit der Europäischen Gemeinschaft standzuhalten, doch ist die Errichtung einer funktionsfähigen Marktwirtschaft noch nicht abgeschlossen. In einigen Sektoren wie Banken, Landwirtschaft und öffentlichen Unternehmen sind Umstrukturierungen erforderlich. Was die Angleichung der Rechtsvorschriften an den Besitzstand der Gemeinschaft betrifft, so wird in dem Bericht darauf hingewiesen, dass in den unter die Zollunion fallenden Bereichen große Fortschritte erzielt wurden, in den übrigen Bereichen aber noch weitere Anstrengungen erforderlich sind. So muss etwa ein Mechanismus zur Anwendung und Durchsetzung des gemeinschaftlichen Besitzstandes eingeführt werden. Außerdem sind auf allen Ebenen Verwaltungsreformen erforderlich.

Im Regelmäßigen Bericht 2001 heißt es, dass bis zum Ende des Jahres alle Elemente der Heranführungsstrategie, die vom Europäischen Rat von Helsinki beschlossen wurden, vorliegen würden. Dann könne eine neue, intensivere Phase eingeleitet werden, in der das türkische Recht eingehend geprüft und die Angleichung an den gemeinschaftlichen Besitzstand vorbereitet werde. Die Kommission bestärkt die Türkei darin, ihren politischen und wirtschaftlichen Reformkurs beizubehalten, damit weitere Fortschritte bei der Erfüllung der Prioritäten der Beitrittspartnerschaft erzielt werden. Wichtig auf kurze Sicht sei, dass die Türkei die Menschenrechte in der Praxis wirksamer achte und dass geeignete Bedingungen für wirtschaftliche Stabilität und Wirtschaftswachstum geschaffen würden. In dem Bericht wird ferner festgestellt, dass die Türkei keine Fortschritte im Hinblick auf eine funktionierende Marktwirtschaft erzielen konnte. Große Teile ihrer Wirtschaft sind allerdings bereits jetzt im Rahmen der Zollunion auf dem EU-Markt wettbewerbsfähig.

Im Regelmäßigen Bericht 2002 wird darauf hingewiesen, dass die Türkei durch die Verfassungsreform und eine Reihe von Gesetzespaketen erkennbare Fortschritte in Richtung auf eine Erfüllung der politischen Kriterien von Kopenhagen erzielt hat und sich auch bei den wirtschaftlichen Kriterien und der Anpassung an den Besitzstand voranbewegt. Dessen ungeachtet seien noch weitere erhebliche Anstrengungen erforderlich. Vor diesem Hintergrund empfiehlt die Kommission mit Blick auf die nächste Phase der Bewerbung der Türkei, dass die EU ihre Unterstützung für die Vorbereitung der Türkei auf den Beitritt verstärkt und erhebliche zusätzliche Mittel zu diesem Zweck bereitstellt. In dem Bericht werden die von der Türkei erzielten Fortschritte insbesondere hinsichtlich der Abschaffung der Todesstrafe (außer im Kriegsfall), der wichtigen Schritte, um die Übertragung von Rundfunk- und Fernsehsendungen sowie den Unterricht in anderen Sprachen als Türkisch zu ermöglichen, sowie der Aufhebung des Ausnahmezustands in zwei der insgesamt vier betroffenen Provinzen begrüßt. Die Türkei hat weitere Fortschritte auf dem Weg zu einer funktionierenden Marktwirtschaft gemacht und dürfte so eher in der Lage sein, dem Wettbewerbsdruck und den Marktkräften in der Union standzuhalten. Dennoch ist die Kommission der Auffassung, dass die Türkei die Kriterien der Übernahme des Besitzstandes noch nicht vollständig erfüllt und diesbezüglich weitere Bemühungen erforderlich sind.

Im Regelmäßigen Bericht 2003 wird darauf hingewiesen, dass die Türkei bedeutende Fortschritte im Hinblick auf die Einhaltung der politischen und wirtschaftlichen Kriterien von Kopenhagen und in Bezug auf die Besitzstandskriterien erzielt hat. Im Laufe des Jahres hat die türkische Regierung mit großer Entschlossenheit die Reformen beschleunigt, was zu einer tief greifenden Umstrukturierung des politischen und rechtlichen Systems geführt hat. Auch hat sie umfassende Maßnahmen ergriffen, um deren effektive Umsetzung zu gewährleisten und den türkischen Bürgern die uneingeschränkte Wahrnehmung der Grundfreiheiten und Menschenrechte gemäß den europäischen Normen zu garantieren. Dennoch müssten in vielen Bereichen noch große Anstrengungen unternommen werden.

Im Regelmäßigen Bericht 2004 wird darauf hingewiesen, dass die Türkei beträchtliche Fortschritte bei den politischen Reformen insbesondere durch eine Reihe verfassungs- und allgemeinrechtlicher Änderungen gemäß den Prioritäten der Beitrittspartnerschaft erzielt hat. Doch müssen die Rechtsvorschriften und die Umsetzung der Bestimmungen noch konsolidiert und ausgeweitet werden. Das gilt insbesondere für die "Null-Toleranz-Politik" gegenüber Folter und Misshandlungen sowie für die Umsetzung der Bestimmungen über die Meinungsfreiheit, die Religionsfreiheit sowie die Rechte der Frauen und der Minderheiten. In ihrer Empfehlung vom 6. Oktober 2004 vertritt die Kommission die Auffassung, dass die Türkei die politischen Kriterien von Kopenhagen in ausreichendem Maße erfüllt. Sie empfiehlt daher die Eröffnung an Bedingungen geknüpfter Beitrittsverhandlungen. Auf dieser Grundlage setzte der Europäische Rat vom Dezember 2004 die Aufnahme der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei auf Oktober 2005 an.

BEZUG

Assoziationsabkommen EWG-Türkei (1963)Amtsblatt Nr. 217 vom 29.12.1964

Beschluss Nr. 1/95 des Assoziationsrates EG-TürkeiAmtsblatt L 35 vom 13.2.1996

Mitteilung der Kommission an den Rat„Europäische Strategie für die Türkei" KOM(98) 124 endg.Nicht im Amtsblatt veröffentlicht

Regelmäßige Berichte über die BeitrittsländerGesamtdokument KOM(1999) 500 endg.Nicht im Amtsblatt veröffentlicht

Bericht der Kommission KOM(1999) 513 endg.Nicht im Amtsblatt veröffentlicht

Bericht der Kommission KOM(2000) 713 endg.Nicht im Amtsblatt veröffentlicht

Beschluss 2001/235/EG Amtsblatt L 85 vom 24.3.2001

Bericht der Kommission KOM(2001) 700 endg. - SEK(2001) 1756Nicht im Amtsblatt veröffentlicht

Verordnung (EG) Nr. 2500/2001 Amtsblatt L 342 vom 27.12.2001, Berichtigung: Amtsblatt L 285 vom 23.10.2002

Bericht der Kommission KOM(2002) 700 endg. - SEK(2002) 1412Nicht im Amtsblatt veröffentlicht

Beschluss 2003/398/EG Amtsblatt L 145 du 12.06.2003

Bericht der Kommission KOM(2003) 676 endg. - SEK(2003) 1212Nicht im Amtsblatt veröffentlicht

Bericht der Kommission KOM(2004) 656 endg. - SEK(2004) 1201Nicht im Amtsblatt veröffentlicht

Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Brüssel vom 16./17. Dezember 2004

Der Europäische Rat beschloss, dass die Europäische Union die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei am 3. Oktober 2005 eröffnet. Die Verhandlungen stützen sich auf die von der Kommission in ihrer Empfehlung vom Oktober 2004 vorgeschlagene Strategie.

(1) Art. 28 des Assoziationsabkommens hat folgenden Wortlaut: „Sobald das Funktionieren des Abkommens es in Aussicht zu nehmen gestattet, dass die Türkei die Verpflichtungen aus dem Vertrag zur Gründung der Gemeinschaft vollständig übernimmt, werden die Vertragsparteien die Möglichkeit eines Beitritts der Türkei zur Gemeinschaft prüfen."

Letzte Änderung: 01.06.2005

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